(Norddeutschland)SVon agilen Methoden zu echter Transformation

Es ist nun schon ein paar Jahre her. Die Konzernwelt scheint nur noch über agiles Arbeiten und Transformation zu sprechen. Jeder, der die Zukunft nicht verschlafen möchte, transformiert gerade. Und ja, ich halte es für sinnvoll, sogar überlebensnotwendig, sich als Unternehmen immer weiterzuentwickeln, sich flexibel und reaktionsschnell aufzustellen. Nur ist das kein Projekt! Das ist eine Haltung!

Wir waren vor ein paar Wochen mit einem unserer Teams aus Agilen Coaches und Transformationsexperten in ein internationales Unternehmen „eingezogen“. Ein ganzer Bereich mit mehreren hundert Mitarbeitenden sollte umstrukturiert und agiles Arbeiten eingeführt werden. Es gab viel zu tun: Teams wurden neu und cross-funktional zusammengestellt, Team-Visionen galt es zu erarbeiten, die alle auf ein gemeinsames Ziel einzahlen. Agile Methoden wurden geschult und eingeführt, Scrum Master ausgebildet und die Werbetrommel für die neue Arbeitswelt mit vielen – echt coolen – Events befeuert. OKRs wurden erarbeitet und KPIs waren auch heiß begehrt. Ach ja, und dann gab es noch Leadership-Trainings. Sollte es geben. Aus einem Weiterbildungsprogramm wurden … hier und da ein halber Tag … oder besser zwei Stunden … oder kann man das nicht in unseren Jour Fixe integrieren?

Montag, 11:00 Uhr – das Telefon klingelt. Eine hektische Stimme am anderen Ende: „Könnt ihr noch fünf Scrum Master schicken? Wir sind zu langsam!“ Nach zwei Monaten sind noch nicht alle Teams in der neuen Arbeitsform produktiv, performen nicht – richtig! Und selbstverständlich!

Transformation als Projekt – nope!

Nachhaltige Veränderung folgt keinem Projektplan, keiner Ansammlung von Maßnahmen, die nur schnell genug aneinandergereiht maximalen Erfolg bringen. Ich konnte viele verschiedene Ansätze für Transformation miterleben: vom Bottom-Up-Ansatz, über das „Gallische Dorf“ bis zur radikalen Umstrukturierung am Reißbrett. Ein Muster haben alle gemeinsam: Tempo und Erfolg sind direkt proportional abhängig von der Bereitschaft und dem Tempo der Führungsmannschaft, sich selbst weiterzuentwickeln und Führung neu zu denken.

Damit einmal Hand aufs Herz: Was ist die eigentliche Motivation, ein Unternehmen, einen Bereich, „agil“ aufzustellen? Nachhaltiger Erfolg über Jahrzehnte oder doch eher einmal eine große Transformation einleiten und dann mit Schwungbrett Richtung Vorstandssitz? Ich finde Letzteres gar nicht verwerflich, sogar total legitim und nachvollziehbar – es wird nur nicht funktionieren!

Culture eats strategy for breakfast. – Peter Drucker (sehr wahrscheinlich, aber nicht erwiesen)

Viele Unternehmen führen agile Methoden ein, um schneller und wendiger zu werden. Doch oft trägt die Unternehmenskultur diese Methoden nicht. Und umgekehrt: Ich kenne Unternehmen, die agile Methoden nicht kennen und dennoch unfassbar flexibel und reaktionsschnell am Markt agieren. Was machen diese Unternehmen wie Allsafe (Bodensee), Upstalsboom (Norddeutschland) oder Buurtzorg (Niederlande)? Wir schauen gleich einmal genauer hin. Aber zuerst hilft mir das Bild eines Eisbergs immer sehr, das Dilemma mit den agilen Methoden zu erfassen.

Von einem Eisberg sieht man nur einen kleinen Teil an der Wasseroberfläche. Aber dieser Teil kann nur herausragen, weil er von dem größeren Teil unterhalb der Wasseroberfläche getragen wird. Sichtbar sind meist die genutzten Methoden, sie werden greifbar durch dezidierte Rollen, durch die (meist Jira-) Boards, die regelmäßigen Termine wie Review, Retro und Planning etc. Doch: Was an der Oberfläche glänzt, muss in der Tiefe gestützt sein. Eben durch Werte, Haltung und entsprechende Prinzipien. Fehlen diese, gehen die Methoden baden.

Es gibt einige Beispiele, die das Fundament erfolgreich aufgebaut haben. Lasst uns einmal einen Blick auf Upstalsboom werfen:

Upstalsboom – mit Werten zur nachhaltigen Transformation

Die Geschichte von Bodo Janssen und Upstalsboom, einem Hotel- und Tourismusunternehmen, ist immer wieder inspirierend zu lesen. Bodo Janssen hat inzwischen mehrere Bücher geschrieben – „Die stille Revolution“ gibt es auch als Verfilmung. Den Link dafür findet ihr in meiner Online-Bibliothek:

Bodo Janssen hat eine Transformation durchlebt. Zuallererst seine eigene. Das Unternehmen folgte. Heute stehen bei Upstalsboom die Mitarbeiter im Mittelpunkt. Durch flache Hierarchien und viel Eigenverantwortung können sie besser auf die Wünsche der Gäste eingehen und eigenverantwortlich innovative Ideen umsetzen. Das trug das Unternehmen auch durch die beutelnde Phase der Lockdowns. Doch das kam nicht über Nacht. Bodo Janssen hat zuallererst seine Sicht auf die Welt verändert, sich andere, neue Fragen gestellt. Und dann – zusammen mit seiner Führungsmannschaft – die Kultur von Grund auf verändert. Im Zentrum stand Wertearbeit. Und zwar nicht nur in der Theorie und auf dem Papier. Er legte großen Wert auf eine nachhaltige Überführung in die gelebte Praxis.

Unternehmensbeispiele werden gerne einmal glorifiziert – ich wollte wissen, was dran ist, packte meine Tasche und zog für ein paar Tage in das Upstalsboom Hotel auf Föhr. Mit hohen Erwartungen im Gepäck, die – ich mach es kurz – übertroffen wurden. Dazu kommt sicher auch noch einmal ein ausführlicher Beitrag. Du willst ihn nicht verpassen? Einfach kurz hier abonnieren:

Von Innen nach Außen – von der Ursache zur Wirkung

Ein wirklich agiles Unternehmen, also ein Unternehmen, das nicht nur einen agilen Anstrich verpasst bekommen hat, entsteht immer von innen nach außen. Es stellt andere Fragen, hinterfragt bestehende Prozesse und entwickelt sich kontinuierlich weiter. Der Weg zu echter Agilität beginnt mit einem Wandel im Denken, nicht mit neuen Methoden. Von der Führungsmannschaft hinein in alle Zellen der Organisation.

Statt große, unüberschaubare Projekte zu starten und alle „veränderungsverrückt“ zu machen, sollten Unternehmen klein anfangen, neue Fragen stellen. Fangt bei Meetings an. Die Frage „Was können wir heute besser machen?“ kann bereits ein erster Schritt sein, den Weg zu einer neuen Denkweise zu ebnen.

Das bedeutet nicht, dass man nur kosmetisch mit Veränderung beginnen darf – im Gegenteil. Veränderung braucht einen Rahmen. Und Konsistenz. Es ist wie eine neue Gewohnheit, die man etablieren möchte. Denn die Summe unserer Gewohnheiten gestaltet unsere Persönlichkeit – und die unseres Unternehmens. Es braucht mehr Tiefgang als eine Aneinanderreihung geplanter Maßnahmen. Und dies gilt für jede Art des Kulturwandels und ist gar nicht ausschließlich mit dem Ziel „agiler werden“ verwoben.

Ein Unternehmen ist mehr als die Summe seiner Methoden. Es ist die Summe seiner Gewohnheiten. Zukunftsrobust wird es dann, wenn es eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Anpassungsfähigkeit pflegt. Wenn wir unseren Blick auf die Frage gelenkt halten „Wie können wir unsere Kultur so gestalten, dass sie unsere Strategien unterstützt und trägt? Und was kann ich dazu beitragen?“, dann wird Change, Transformation oder Agilität nicht zur leeren Hülle, sondern zu einem echten Wettbewerbsvorteil.

Wir werden die Zukunft dann erfolgreich gestalten, wenn wir neue Gedanken zulassen, uns austauschen und gegenseitig inspirieren, neue Wege zu gehen. Deshalb bin ich natürlich gespannt zu hören, was Deine Erfahrungen und Herausforderungen mit Veränderungsprozessen und agilen Methoden sind. Teile gerne Deine Gedanken in den Kommentaren.

Bis zum nächsten Mal,

Cheers * Simone